Gestern kam ich wieder in Saigon an. Das Taxi brachte mich zurück in meine kleine Oase, das Ananas Family Hotel. Mir ist völlig unklar, warum dieses Hotel so wenig Gäste hat. Vom Preis-Leistungs-Verhältnis her ist es einmalig. Nicht selten ist man ganz allein im Pool auf dem Dach, höchstens ein paar Tauben leisten einem Gesellschaft, auf der Suche nach etwas Essbarem. Aber genau das macht dieses Hotel aus: die Ruhe.
Wenn man in Saigon ein Hotel mit Balkon und Dachpool sucht, wird’s schwierig, das Angebot scheint es nicht zu geben, oder dann sind es grosse Hotels mit vielen Touristen und genau das suche ich nicht.

Da es das Anna’s Coffee im Quartier nicht mehr gibt, suchte ich auf Google Maps nach einer Karaoke-Bar. Das war schnell gefunden. Am Empfang schauten sie etwas überrascht, eine Touristin hier zu sehen. Ob ich singen wolle, fragten sie. Ich sagte, ich wolle nur zuhören. Ich glaube, das haben sie nicht ganz verstanden, denn sie führten mich in einen Raum, in dem niemand war mit kitschigen Sofas, einem Bildschirm und zwei Mikrofone. Und Heiss war da drin!

Ich verstand bald, dass diese Räume für Gruppen gedacht sind, die gemeinsam Karaoke singen, also nicht das wonach ich gesucht habe.
Der Mitarbeiter erklärte mir, wenn ich Karaoke nur hören wolle, müsste ich in «Tea-House». Er suchte auf Google Maps nach Phòng Trà. Ich erinnerte mich: Das Anna’s Coffee hiess ursprünglich Phòng Trà Anna.

Wir wurden aber nicht fündig.
Ich lief also einfach los. Nach den ruhigen Strandtagen merkte ich, wie schwer mir der Lärm, die Hitze und der Verkehr fielen.
Etwas ernüchtert setzte ich mich in eine Strassenküche, bestellte ein Bier und ein Grab-Bike. Ich wollte dann zurück ins Hotel. Plötzlich hörte ich Musik aus einem Haus. Das Grab-Bike war bereits bestellt. Eine Familie sang Karaoke. Ich schaute kurz hin… und wieder baten sie mich herein.
Zum dritten Mal wurde ich einfach so von einer Familie eingeladen. Ich cancelte das Grab-Bike wieder.
Es gab Bier, Essen und natürlich Karaoke. Das Mikrofon war aus Gold 😉 Sie stellten mir Frauen, Kinder und Haustiere vor – Leguane, die sie in einer Kartonschachtel hielten. Schöne Tiere, einer hatte sich gerade frisch gehäutet. Ich wollte ihn trotzdem nicht halten. Sie lachten. Vielleicht ein bisschen über mich, aber das ist nicht schlimm.

Den Songtext lasen sie vom Handy ab und sangen mit. Ich musste schmunzeln, als das Video im Hintergrund zwar vietnamesisch war – aber das Matterhorn zeigte. Eine unerwartete schweizerisch-vietnamesische Vereinigung, die zu diesem Abend passte.

Irgendwann bestanden sie darauf, dass auch ich singen solle. Mit meiner Stimme die Strassen von Saigon beschallen? Eher nicht. Sie suchten ein Video von Lionel Richie und fragten, ob ich das kenne. Nein, nicht wirklich. Englisch singen liegt mir nicht. Also willigte ich schlussendlich ein und sang, was ich einigermassen kann: Et si tu n’existais pas von Joe Dassin. Aber nur, weil sie es wirklich wollten.

Nach und nach gingen die Leute heim. Man erklärte mir, dass sie am Morgen früh zur Arbeit müssten. Verständlich. Sie fragten, wann ich wiederkomme. Ich sagte: «Maybe in November.» Sie bestanden darauf, dass ich am 20. November wiederkomme, und baten mich, den Standort auf Google Maps zu speichern. Offenbar findet dann ein wichtiges Fest statt.
Ich bestellte erneut ein Grab-Bike und fuhr zurück ins Hotel. Der Abend wurde anders als geplant, aber viel besser.
Reisen macht Spass. Aber in andere Länder zieht es mich nicht. Mir reichen die Schweiz, Frankreich, Italien… und Vietnam. Hier fühle ich mich wohl. Nach diesem Abend frage ich mich, wie es wäre, mal drei Monate hier zu leben. Habe ich noch nie gemacht. Nach all den Jahren, in denen ich mich um die Kinder gekümmert, viel gearbeitet und kaum Zeit für mich gehabt habe… vielleicht wäre es jetzt an der Zeit. Ob es realistisch ist? Das ist eine andere Frage. Aber reizen würde es mich sehr.
Der Plan für heute: einen Coiffeur finden – meine Haare sind vom Meer wie Stroh. Ein bisschen schneiden tut ihnen gut. Danach den Pool geniessen, und dann an den Flughafen.

Und hey: Mein Ferienbudget ist nicht aufgebraucht. Ich habe echt noch zwei Millionen auszugeben.
In der Schweiz soll das Hoch Noémi den Frühling gebracht haben. Noémi – so heisst meine Tochter. Ich komme also im richtigen Moment zurück. Auch wenn ich mir eigentlich noch gut vorstellen könnte hier zu bleiben.
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