Zurück in der Grossstadt Saigon, wo leider unsere geliebte Karaoke-Bar verschwunden ist. Diesmal haben wir zwei Gesichter von HCMC gesehen: die mondäne Downtown und eine Oase für Benachteiligte mitten in den «Banlieues» im Westen der Stadt. Und was das in uns ausgelöst hat.
Von Hanoi im Norden sind wir direkt in die Wirtschaftsmetropole Saigon im Süden geflogen. Saigon oder Ho Chi Minh City (HCMC), beide Namen sind gebräuchlich. Samstag, der zweitletzte Tag der Tết-Ferien, und entsprechend viel Betrieb am Flughafen. Das halbe Land ist auf der Heimreise vom Verwandtenbesuch auf dem Land!
Wie gehabt sind wir mit dem Taxi in unser geliebtes Hotel Ananas gefahren. Wenig Verkehr, wir waren so schnell dort wie noch nie. Als wir in unser Quartier eingebogen sind, sind uns bereits die Veränderungen aufgefallen. Der Lebensmittelladen geschlossen (wegen Tết, wie sich am Montag herausstellte). Und vor allem unsere Karaoke-Bar: Umgebaut, mit schweren Eisenrolläden verschlossen. Anna’s Coffee gibt es nicht mehr. Stattdessen eine trostlose Frühstücksbar. Doch dies sollten nur die ersten Vorzeichen sein.
Downtown Saigon, der Kulturschock der anderen Art
Wir beschlossen, am Abend nach Downtown Saigon zu fahren. Dort, wo sich Geld und Touristen treffen. Ben Thanh, die alte Post, Notre Dame, Banken und Einkaufszentren. Eigentlich wollten wir ans Konzert eines Vietnamesen, der via Talentshow bekannt wurde. Doch eine Million Dong Eintritt (rund 40 Franken)? Das sind keine Preise, wie wir es uns von Vietnam gewohnt sind. Also zuerst einmal etwas essen. Im Zentrum von Ho Chi Minh City gibt es den Bier Garden (der heisst wirklich genau so!), einer einigermassen akzeptablen Touristenbeiz. Die Menüs ab 150’000 Dong (rund 6 Franken), das Bier 60’000 (2.50 Franken). Die Preise sind gestiegen seit unserem letzten Besuch vor gut eineinviertel Jahren. Der Wirtschaftsmotor brummt, der Tourismus boomt. Steigen deshalb die Preise?
Das ist zugegebenermassen immer noch Jammern auf sehr tiefem Preisniveau. Aber wo ist der vietnamesische Charme geblieben, die Freundlichkeit und Gastfreundlichkeit? Überall steht das Geld im Vordergrund. Da hätten wir ja gleich nach «Züri West» in den Ausgang gehen können!
Also nichts wie weg! Doch wir fanden kein Taxi, und der Bus fuhr nicht mehr oder einfach an uns vorbei, ohne anzuhalten. Zu viele Leute unterwegs und zu wenige Taxis. Gut, was trinken gehen. Es war etwa 21 Uhr, die Märkte am Ben Thanh schlossen gerade, dafür waren die Restaurants umso voller.
Wir gehen doch noch ins Saxnart, den Jazz-Club des Saxofonisten Tran Manh Tuan, einer zumindest in Vietnam bekannten Grösse. Für uns wars trotzdem eine Notlösung, wir sind nicht soo Jazz-Fans. Den letzten freien Tisch ergattert, und schon beim Eingang hat uns der Keller auf den Konzertzuschlag hingewiesen. 130’000 Dong (ca. 6 Franken), quasi der Eintritt. Das ist ja so weit ok, aber das Bier kostete dann nochmals etwa so viel pro Flasche. Zum Vergleich: Anderorts kostet ein Saigon Export etwa 30’000 Dong.
Immerhin, danach fanden wir wenigstens ein Taxi. Aber Downtown Saigon war für uns ein Schock, ein Kulturschock der anderen Art. Zu westlich, zu stark aufs Geld fixiert und zu unfreundlich. Etwas deprimiert kamen wir in unserer Oase Ananas an. Was wir gerade in Downtown erlebt hatten, war das ein Blick in die Zukunft Vietnams? Wir hoffen es nicht.
In der Banlieue von Saigon
Am übernächsten Tag der totale Szenenwechsel. Wir hatten im Maison Chance gebucht, einem Heim für Benachteiligte, Behinderte und Waisenkinder. Die Westschweizerin Tim Aline Rebeaud hat diesen Zufluchtsort für die Ärmsten der Gesellschaft vor 25 Jahren aufgebaut und führt ihn mit viel Engagement und noch mehr Herzblut. Den Übernamen «Tim» verdankt Aline ihrer Hilfe, er bedeutet auf Vietnamesisch «Herz».
Der Weg dorthin war abenteuerlich und lustig zugleich. Natürlich hatten wir eine Adresse des Maison Chance im Westen von Saigon. Aber keine Vorstellung, wie es dort aussieht. Einstöckige, mehr oder weniger heruntergekommene Häuser, ein Gewirr von schmalen Strassen, Roller, Velos, Menschen zu Fuss. Nicht die Nobelecke Saigons. Tim Aline spricht in ihrem Buch von der Banlieue HCMCs, was nicht ganz falsch ist.
Jedenfalls fand der Taxifahrer die Adresse erst nach mehrmaligem Nachfragen. Er nahms mit Humor, wir auch.
Maison Chance, eine Oase für Benachteiligte
Nun standen wir in einer Gegend, in der wir garantiert keinen Touristen begegnen würden – tatsächlich haben wir in den zwei Tagen nur Asiaten gesehen (ich kann Asiaten nicht unterscheiden, deshalb schreibe ich nicht «Vietnamesen», auch wenn es wohl stimmen würde).
Wir fanden uns vor einem grossen blauen Eisentor wieder, das den Eingang in eine nochmals andere Welt markiert: das Maison Chance. Wir wussten nicht genau, was uns in dieser Oase für Waisenkinder, Behinderte, Kriegsversehrte und arme Jugendliche aus der Nachbarschaft erwarten würde. Die Kinder und Jugendlichen begrüssten uns mit «Hello», «nice to meet you» oder auch «bonjour». Und haben uns sofort integriert. Mit einigen der Erwachsenen kamen wir ins Gespräch oder zumindest in einen kurzen Kontakt.
Aber das Gefühl lässt sich nur schwer beschreiben. Etwa so stelle ich mir es vor, wenn ich nach einer Wanderung durch die Wüste endlich in einer Oase ankomme. Denn eine Oase ist es, was Tim Aline mit ihrem Team und den Unterstützern mit dem Maison Chance aufgebaut hat. Eine Zuflucht für 200 Kinder und Erwachsene, die hier ein Leben finden.
Vietnam ist ein Land, in dem die Verwandten für Kranke und Behinderte sorgen. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, was es bedeutet, als Waisenkind auf sich allein gestellt zu sein. Tim Aline hat es in ihrem Buch beschrieben. Ich habe etwas darin gelesen, als meine Frau Rachel sich mit ihr getroffen hat. Und schwankte ständig zwischen Glück und Tränen. Freude, Hoffnung und Traurigkeit, das ist wohl die beste Beschreibung für unsere Emotionen bei unserem Aufenthalt im Maison Chance.
Und wie peinlich war es mir, als die zierliche Frau, die uns empfing, meinen Koffer die Treppe zu unserem Zimmer hinauftrug. Noch viel peinlicher, als ich erfuhr, dass diese Frau die Rechtsanwältin des Maison Chance ist. Ausgerechnet in den Banlieues von Saigon fanden wir sie wieder, diese Gastfreundschaft. Dort, wo das Herz noch grösser ist als Geld.
Tim Aline, nous reviendrons!
PS: Das Maison Chance hat uns tief beeindruckt. Rachel wird dazu einen separaten Blogbeitrag schreiben.
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