Entschleunigung und eine Reise zurück nach Mui Né

Am 27. reiste ich, wie gebucht, mit dem Zug von der Gà Sài Gòn (Gà = gare)  nach Bình Thuận. Knapp vier Stunden sollte die Fahrt dauern, doch wie so oft in Vietnam rechnete ich mit Verspätungen. Tatsächlich waren es am Ende nur zwanzig Minuten Verspätung – Es hätte schlimmer sein können. Die Durchschnittsgeschwindigkeit des Zuges liegt jeweils bei gerade einmal 50 km/h.

Dieses Mal war der Zug fast leer, und der Restaurantwagen wirkte richtig edel. In Vietnam hat vieles einen ziemlich kitschigen Touch – so auch die Blümchentapete im Restaurantwagen. Ich verbrachte den Hauptteil der Fahrt an einem Tisch mit meinem Laptop und meinem farbigen Mantra- und Gedanken-Tagebuch, dieses Mal analog. Mein Gepäck liess ich an meinem Platz – in Vietnam wird nicht gestohlen, allenfalls von Touristen, ich hatte jedoch keine gesehen. Wieder einmal habe ich mich über die vietnamesische Hilfsbereitschaft gefreut: Zwei Personen wiesen mich darauf hin, dass ich in Mưong  Mán aussteigen muss, obwohl auf dem Ticket „Bình Thuận“ angegeben war. Von dort aus nahm ich ein Grab-Taxi ans Meer.

Zurück nach Mui Né – da wo alles begann

Schon zu Hause hatte ich beschlossen, dorthin zu reisen, wo alles begann: nach Mui Né. Dort, wo ich mich nach anfänglicher Enttäuschung über die Umgebung und der verbaute Strand aber nach dem Besuch im Fishing-Village, in Vietnam verliebt hatte. Ich wollte herausfinden, ob dieser Ort mit all meinen neuen Erfahrungen immer noch dieselbe Wirkung auf mich hat.

Ich wurde positiv überrascht, nicht zuletzt, weil ich mich für ein kleines, aber feines Resort entschied. Meine Freude war gross, als ich feststellte, dass mein Bungalow eine eigene Terrasse hat und das Meer keine zwanzig Meter entfernt liegt. All das für vier Nächte und drei Millionen Dong (ca. CHF 150). Das Resort war nicht komplett belegt, manchmal war ich sogar ganz alleine dort, was mir sehr gefiel.

Was sich nicht verändert hat, ist die verbaute Meeresfront. Zum Vergleich: Da Nang hat zwar einen traumhaften Strand, dafür aber eine wenig ansprechende Umgebung. Ich besuchte also den Ort, an dem ich meine zwei Halbschwestern zum ersten Mal getroffen hatte und wo mein Vater und ich uns seine Rückkehr in die Schweiz ausmalten. Verrückt eigentlich: Als mein Vater nach Vietnam auswanderte, war er nur knapp älter als ich jetzt. So lange besteht unsere Liebe zu diesem Land in unserer Familie. Und ich glaube, ich habe diese Liebe teilweise auch an meine Töchter weitergegeben.

Meine Liebe zu Grab-Bikes

Alleine zu reisen bedeutet auch, dass man sich nicht immer mit dem Auto fortbewegen muss. Oft buche ich, auch hier am Meer, Grab-Bikes. Die Fahrstile sind sehr unterschiedlich, und manchmal weiss ich nicht, wo ich mich festhalten soll. Einfach so den Fahrer um den Bauch zu halten, kommt mir zu nahe vor – das traue ich mich definitiv nicht. Manchmal gibt es Haltegriffe hinten am Sitz, aber nicht alle Bikes sind damit ausgestattet. Besonders abenteuerlich wird es, wenn der Fahrer einen eher «zackigen»  Fahrstil hat und es keine Halterung gibt.

Ich habe dann die Vietnamesen beobachtet, die oft zu viert auf so einem Bike sitzen. Sie halten sich gar nicht fest. Offenbar haben sie das Gleichgewicht schon in ihrer DNA. Den Helm setze ich über meinen gehäkelten Hut, damit er besser sitzt – und so vermeide ich es, einen Helm direkt auf dem Kopf zu tragen, den zuvor schon viele andere benutzt haben. Auch viele Vietnamesen machen es so und setzen den Helm über ihre Kopfbedeckung. Ich passe mich immer mehr an, fühle mich immer weniger wie eine Touristin. Hallo sagen und mein Essen auf Vietnamesisch bestellen kann ich bereits.

Trotz der unterschiedlichen Fahrstile haben alle Grab-Fahrer eines gemeinsam: Sie überholen sehr vorsichtig. Manchmal dachte ich, « meine Güte, ich werde hier zwischen einem Touristenbus und einem Lastwagen zerquetscht! » aber nein – auch Grab-Fahrer wollen am Leben bleiben. Zur Not wird eben rechts überholt. Das Haar im Wind, mitten im Geschehen, das gefällt mir. Das hat den Geschmack von purem Abenteuer.

Vom Local-Market zum Fishing Village

Am zweiten Tag in Mui Né beschloss ich, das Fishing Village zu besuchen. Ich bestellte einen Grab und landete durch Zufall zuerst am Local-Market. Perfekt! Ich nutzte die Gelegenheit und schlenderte durch die Stände. Kein einziger Tourist, aber dafür eine beeindruckende Anzahl an Flip-Flops.

Durch kleine Gassen lief ich anschliessend ans Meer, dorthin, wo ich mich, wegen dem vielen Blau (blaues Meer, blaue Boote) und der Stimmung in Vietnam verliebt hatte. Plötzlich wurde ich von drei bellenden Hunden – einer mit gefletschten Zähnen – erschreckt. «Autsch – typisch ich, immer wieder aus Neugier irgendwelche Risiken eingehen». Doch die Besitzer riefen sie sofort zurück.

Ich lief weiter entlang des Meeres, mitten durch das Fischerdorf. Überall waren die runden Schalenboote zu sehen, die die Vietnamesen als Transportmittel zu ihren Fischerbooten nutzen. Den Sinn fürs Geschäft haben sie hier: ein älterer Mann bot mir eine kleine Tour in einer dieser Schalen an. Ich lehnte dankend ab – zu viel Risiko, denn besonders stabil wirkten diese Boote nicht.

Lernen unter Palmen

Gestern nahm ich online an meiner Weiterbildung teil. Da im Bungalow kein WLAN war, suchte ich mir einen Platz im Restaurant, möglichst nah an der einzigen Steckdose. Während es in der Schweiz 9:00 Uhr morgens war und meine Mitschülerinnen gerade beim Kaffee waren, hatte ich bereits zu Mittag gegessen. Fach «Selbstkenntnis» ohne Privatsphäre – «autsch». Zum Glück war kein einziger Schweizer hier und das Restaurant sowieso fast leer. Als sie Mittagspause machten, war ich beim Abendessen, und als ich um 21:00 Uhr vietnamesischer Zeit Lust auf einen Mojito hatte, wurde ich von meinen Mitschülerinnen ermutigt, mir einen zu bestellen. Unsere Frauenrunde ist cool, ich bin, wie so oft in Weiterbildungen, die Älteste, aber eine herzliche Verbindung ist durch das gemeinsam Erlebte entstanden.

Abschied und neue Abenteuer

Morgen verlasse ich Mui Né und reise weiter nach Bãi Xếp in der Nähe von Quy Nhơn – neun Stunden Zugfahrt, auf die ich mich freue. Wieder auf die Gastfreundschaft, die Begegnungen, mein Mantra-Tagebuch, meine Gedanken zu meinen «Zukunfts-Ichs»  und vielleicht sogar ein kleines Nickerchen. Bai Xep verbinde ich mit schönen Erinnerungen, wie an jenem Abend, als Andi und ich vor einem Haus stehen blieben, weil wir Karaoke hörten – und am Ende von einer vietnamesischen Familie zum Mitsingen eingeladen wurden.


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