Warum?
„Man kann überall hinreisen – aber sich selbst nimmt man immer mit.“ Ich weiss nicht, woher dieser Satz stammt, doch irgendwann vor ein paar Jahren hat er sich tief in mir verankert.
Seit zehn Tagen bin ich nun zurück in Vietnam. Die ersten Tage – keine Lust zu bloggen, beinahe eine kleine Krise. So sehr, dass ich begann, die Umbuchungskosten für einen früheren Rückflug zu recherchieren. Gebucht habe ich ihn bis heute nicht.
Ich habe den Satz etwas verändert: Man kann überall hinreisen – doch seine Gedanken und Emotionen nimmt man immer mit. Das beschreibt meinen Zustand wohl am treffendsten. Wenn mich Touristen fragen, warum ich fast einen Monat in Vietnam verbringe, antworte ich: „I had big troubles in my job, and now I have two months free before starting a new one.“ Dieses Englisch bringt mich jedes Mal ins Schwitzen – und das liegt nicht nur an den Temperaturen hier . Nützlich, ja – aber Freude bereitet mir diese Sprache nicht.
Die ersten Tage fühlten sich an wie ein einziges „Warum habt ihr mir das angetan?“ Ich liebte diesen Job – doch ich sah keinen anderen Ausweg, als zu kündigen. Und so, ganz im Sinne des leicht abgewandelten Zitats, stiegen eine Menge an Gedanken in mir auf.
Warum?
Diese Frage hat mich bisher dreimal im Leben intensiv begleitet:
Als ich im siebten Schwangerschaftsmonat mein Kind verlor.
Bei meiner Scheidung.
Und jetzt.
Ich habe beschlossen, die Gedanken zuzulassen. Meine beste Freundin sagt immer: „Wenn du Gedanken wegschickst, kommen sie mit doppelter Wucht zurück.“
Nach der Ankunft in Hanoi – eine Nacht – dann mit dem Nachtzug nach Sa Pa. Dorthin wollte ich schon lange. Die Aussicht von meinem Homestay war schlicht atemberaubend – eingebettet inmitten der Reisfelder. Doch heiss war es – unerwartet heiss für die Berge.

Ich sass da – in einem familiengeführten Homestay, drei Generationen – und zwischen Frust, Hitze, dieser unglaublichen Landschaft und einer liebevollen Gastfamilie mit vielen Kindern schämte ich mich fast dafür, ihre Herzlichkeit nicht so erwidern zu können, wie ich es gern getan hätte. Wandern, Trekking – nichts davon ist meins. Sport generell nicht.

Also entschied ich mich, bei der älteren Generation Stickkurse der Hmong zu besuchen. Zwei Omas brachten mir mit Engelsgeduld die Techniken bei – entstanden ist ein kleines Portemonnaie, in dem ich nun mein vietnamesisches Geld aufbewahre.

Dann, nach drei Nächte, Tageszug zurück nach Hanoi. Regen. Dafür ein fast leerer Zug, ein ganzes Vierer-Abteil für mich allein. Trotzdem musste ich mich auf die oberste Liege hieven – Reservierungen sind hier fix, und ich wusste nicht, ob unterwegs noch jemand zusteigt.
Zwei Nächte in Hanoi. Es war heiss. Ich war noch nie im Juni hier – deutlich heisser, als ich es mir vorgestellt hatte. Am zweiten Tag ein Töpferkurs – und der hat richtig Spass gemacht. Im Vergleich zu anderen Touristen merkte ich, dass noch recht geschickt bin mit Arts & Crafts.
Man bot an, mein Werk zu brennen und zu glasieren. Aber ich war so begeistert, dass ich fragte, ob ich den Rest selbst machen dürfe. Ja – das geht. Doch ich müsste nach dem Ausflug nach Cat Ba zurück nach Hanoi, und länger bleiben, als geplant. Da ich aber noch nichts weiter gebucht hatte, lässt sich das problemlos einrichten.
Einziger Wermutstropfen: Ich muss meine Homestay-Gastgeberin, inzwischen schon fast eine Freundin, enttäuschen – ich brauche diesmal eine Unterkunft mit Pool.
Jetzt bin ich seit zwei Tagen in Cat Ba – auf einem Floating-Resort. Ich habe die Halong-Bucht bereits dreimal besucht, jedes Mal auf einer Dschunke mit Übernachtung. Diese atemberaubende Landschaft zieht mich immer wieder in ihren Bann, auch wenn ich zweimal Pech mit dem Wetter hatte. Es war schon lange mein Wunsch, auf einem Floating-Resort hier zu verweilen.

Tagsüber sind die meisten Touristen unterwegs – morgens fort, abends zurück. Gestern war ich selbst in Cat Ba, ich brauchte gutes Internet für meinen Online-Kurs. Die Themen passen aktuell perfekt – sie helfen mir, meine berufliche Situation zu verarbeiten.
Heute bin ich einfach hier, im Resort. Die einzige Touristin. Ich lese, schreibe, paddle ab und zu mit dem Kajak, schwimme in der Bucht.

Soll ich verlängern? Eigentlich müsste ich morgen zurück nach Hanoi.
Doch die Warum-Gedanken werden leiser.
An eine Umbuchung für eine frühere Heimreise denke ich kaum noch.
Was noch fehlt ? Karaoke!
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