Diesmal sind die Ferien anders. Ich bin in Vietnam – mit einer gewissen inneren Distanz, oft in Gedanken zu Hause, bei meinem Leben, meiner Zukunft. Vielleicht liegt das auch daran, dass ich bisher noch kein Karaoke gefunden habe.
Ich verbringe mehr Zeit mit anderen Touristen als sonst. Da war die Ungarin in Sa Pa, mit der ich gestickt habe. Der Engländer auf Cat Ba, der mit 70 einen Burnout hatte und nun sechs Wochen durch Vietnam reist, um sich selbst wiederzufinden – mit ihm habe ich mich prächtig verstanden. Und das junge französische Paar, das mir in Cat Ba neugierig Fragen zu meinen früheren Reisen stellte.

Zufällig bin ich in Cat Ba in einem Homestay gelandet, in dem Französisch gesprochen wurde. Ich war sofort begeistert – diese Sprache spreche ich nicht nur gerne, sie liegt mir auch, macht mich glücklich und verbindet mich mit mir selbst.

Das führt mich zurück in meine Kindheit: Meine Eltern stammen aus Winterthur. Mein Vater arbeitete in der Schmuck- und Uhrenindustrie, was uns zuerst nach Lausanne, dann nach Nyon führte. Meine Jugend verbrachte ich in Genolier. Mit 19 zog ich nach Winterthur – vorübergehend, dachte ich. Ich hatte dort eine Stelle gefunden, und meine Grossmutter bot mir an, vorerst bei ihr zu wohnen. Zwei Jahre wollte ich bleiben, mein Deutsch verbessern, und dann zurück in die Westschweiz ziehen. Doch wie das Leben so spielt, bin ich geblieben – mittlerweile seit 34 Jahren. Ich habe meine fünf Töchter in Winterthur grossgezogen. Doch ich weiss: Alt werde ich dort nicht. Irgendwann kehre ich zurück – nicht ganz in die Westschweiz, aber fast. Biel ist mein Ziel.

Als Kind faszinierte mich Biologie. Ich war überzeugt, dass ich in diesem Bereich einmal arbeiten würde. Doch das Leben hatte andere Pläne, und so landete ich schliesslich an der Handelsmittelschule. Die Begeisterung für Biologie aber ist geblieben. Beruflich habe ich meinen Platz in der Administration gefunden – unter drei Voraussetzungen: Die Unternehmenskultur muss wertschätzend sein, ich will einen spürbaren Beitrag leisten können, und ich muss meinen «Bilinguisme» einsetzen können. Letzteres ist für mich essenziell. Ich bin im Röstigraben aufgewachsen: deutschschweizerische Kultur zu Hause, westschweizerische draussen. Diese beiden Welten zu verstehen, ist Teil meiner DNA. Ich liebe es «Röstigraben-Überbrückerin» zu sein, zwischen den Sprachen hin und her zu hüpfen. Das gehört zu meinen Wurzeln, das bin ich. Im Herzen fühle ich mich der Westschweiz näher als der Deutschschweiz.
Nach so vielen Jahren in der Deutschschweiz fürchte ich manchmal, mein Französisch zu verlieren – vor allem den Wortschatz. Rechtschreibung, Grammatik, Satzbau, selbst der «accent vaudois» – das macht mir keine Sorgen. Aber die Wörter… In Cat Ba war das Internet schlecht – ein Glücksfall. Ich habe 2,5 französische Bücher gelesen. Dabei entstand eine kleine Strategie, um meinen Wortschatz lebendig zu halten: Wann immer mir beim Lesen ein weniger geläufiges Wort begegnet, schreibe ich es in mein Tagebuch und male mir in meiner Fantasie ein Bild dazu aus. Später werde ich diese Wörter aufnehmen – als Audiodatei –, um sie unterwegs zu hören: im Zug, beim Velofahren, im Alltag. Ich will sie mit meinen inneren Bildern verknüpfen. Dasselbe liesse sich mit Filmen und Chansons machen. So halte ich nicht nur meinen passiven, sondern auch meinen aktiven Wortschatz lebendig – bis ich dann endgültig nach Biel ziehe. Kein vorgegebenes Schulvokabular, sondern mein eigenes, gewähltes Französisch.

Zurück zu Vietnam: Eigentlich wollte ich viel Zeit am Strand verbringen. Stattdessen werde ich insgesamt acht Tage in Hanoi sein – mit Abstechern nach Sa Pa und Cat Ba. Letzteres würde ich übrigens nicht empfehlen: Die Insel ist eine einzige Baustelle, und die meisten Hotels liegen nicht direkt am Meer. Ich selbst brauche die Nähe des Meeres – und auch den Blick darauf, wenn ich schon so nahe dran bin. Nur das Floating Resort in der Halong-Bay erfüllt diesen Wunsch. Dort ist es ruhig, die Landschaft wunderschön. Die Zimmer sind klein, es ist heiss (keine Klimaanlage), und die Bäder sind geteilt – aber das nehme ich gerne in Kauf. Die Natur, die Ruhe, die Aussicht – das alles macht es mehr als wett. Dort kann man auch das faszinierende Meeresleuchten sehen. Diesmal war Vollmond, und es war nicht so gut sichtbar. Aber wenn ich wiederkomme, dann ganz sicher bei Neumond. Ich habe es einst zufällig in Thailand erlebt – es war magisch! Auch das ist meine Faszination für Biologie!

In Hanoi ist es heiss. Ich habe drei Tage drangehängt – wegen eines Töpferworkshops. Ich möchte den Stiftehalter, den ich dort für meinen neuen Job mache, selbst mit nach Hause nehmen – nicht nach Saigon schicken lassen, und schon gar nicht nach Hause. Es ist Porzellan – zerbrechlich und zuviel Herzblut steckt dahinter, dass es möglicherweise verloren geht. Für den zweiten Brand nach dem Malen braucht es diese Zeit. Diesmal bin ich in einem Hotel am West-Lake mit Dachpool. Ich war noch nie in dieser Ecke. Das Hotel heisst zwar irgendwas mit «Luxury», kostet aber nur 35 Franken pro Nacht. Diesen kleinen Luxus gönne ich mir – allein schon für die Abkühlung im Pool.

Danach geht die Reise weiter in die Nähe von Hoi An. Die Stadt selbst ist mir zu touristisch, aber in der Umgebung gibt es kleine Dörfer mit wunderschönen Resorts direkt am Meer. Ich plane auch ein paar Nächte auf der Cham Island – einst eine militärische Insel, heute mit günstigen Homestays, Affen und die Möglichkeit zu Schnorcheln. Mit den Reisedaten jongliere ich noch ein wenig, je nachdem, wo es mir gefällt. Ein Resort habe ich bereits gebucht – sehr einfach, aber mit privatem Strand. Der Bambustisch dort wird übrigens von Termiten angeknabbert – meine Töchter, die damals mit mir da waren, werden sich bestimmt erinnern und lachen… Aber ihr wisst ja, meine Faszination für Biologie erlaubt es mir sogar, mit Termiten unter einem Dach zu wohnen.
Schreibe einen Kommentar