Weitere Erlebnisse und baldiger Abschied

Der letzte Abend in Mứi Né verlief erlebnisreich. Ich beschloss, woanders zu essen als in meinem Resort und ging hinaus auf die Strasse. Viel los war nicht, und ich entschied mich, in einem Café mit Live-Musik einen Phở zu bestellen. Das war jedoch enttäuschend: Der Phở in meinem Resort war definitiv besser, das Restaurant blieb fast leer, und der Sänger sang alleine schlechtes Country . Ich sass also da, in einem Mix aus Musik – auf der einen Seite Live-Country, auf der anderen vietnamesisches Karaoke auf dem Trottoir. Sagte ich schon, dass ich Karaoke liebe? – ich glaube schon 😉

Ich entschied mich fürs Karaoke und ging nach dem Essen nachschauen. Wieder einmal wurde ich zum Bier eingeladen und von den Frauen – via Google Translate – über mein Leben ausgefragt. Das Mikrofon machte die Runde, selbst die Schüchternsten sangen. Einige waren sehr extravertiert und genossen das Singen sichtlich. Etwas später kamen weitere Touristen dazu, darunter ein sehr extrovertierter Franzose, der meinte, mit einem Lied von Édith Piaf brillieren zu wollen. Ich entschied mich, nicht zu singen, aber ein Lied zu wünschen: «Diễm Xưa», eins der wenigen Vietnamesischen Lieder, das mir auch zu Hause gefällt. Damit löste ich etwas Ratlosigkeit aus – keiner der Sänger oder Sängerinnen traute sich so recht daran. Das Lied stammt aus den 70er-Jahren und hat mit dem heutigen V-Pop wohl nicht viel gemeinsam. Am Schluss wurde es ein Duett zwischen einem Mann und einer Frau.

Kurz nach 22 Uhr kam die Polizei und appellierte zur Ruhe. Ich weiss nicht genau, was sie sagten, aber es entstand ein Tumult. Einige Männer wollten aggressiv auf die Polizei losgehen, wurden jedoch von anderen mit Körperkraft zurückgehalten. Ich ging in mein Resort zurück und fing an zu packen.

Extrovertierter Sänger mit Freude (ich frage immer ob ich Fotogrfieren darf)
Extrovertierter Sänger mit Freude

Eine Zugfahrt im Schlafabteil

Am nächsten Tag regnete es in Mứi Né – der perfekte Tag, um Zug zu fahren. Ich weiss gar nicht mehr, ob es Absicht war oder nicht, aber ich hatte ein Schlafabteil gebucht. In meinem Abteil war bereits eine Familie: eine junge Frau, etwa so alt wie meine Töchter, ihre kleine Nichte und ihre Eltern. Sie erklärte mir, dass sie in Amsterdam studiere, gerade ihre Eltern besuche und dass ihre Mutter noch nie Zug gefahren sei. Sie hatten die Strecke Sài Gòn–Hà Nội gebucht, das sind 30 Stunden. Sie sagte mir, dass ich mich an sie wenden könne, falls ich irgendetwas brauche.

Die grösste Herausforderung war es, auf mein Bett zu kommen – es war nämlich das obere Etagenbett. Zwei Metallgriffe waren vorhanden, an denen ich mich hochziehen musste (und das mit 53 Jahren). Die Zugfahrt verlief unspektakulär, und die neun Stunden vergingen erstaunlich kurzweilig. Ab und zu ging ich in den Speisewagen, schrieb an meinem Selbstkenntnisbericht, dachte über meine «Zukunfts-Ichs» nach und schlief. Mit einem Vorsprung von zehn Minuten (ja, das gibt es auch bei vietnamesischen Zügen) kam ich in Diêu Trì an (spricht sich aus wie «Duty» auf Englisch, auch wenn ich es instinktiv auf Französisch aussprechen will und mich frage, was es mit Gott zu tun hat) und wurde von einem Grab ins vertraute Haven in Bãi Xép gefahren. Der Ort hatte sich in den sechs Jahren, seit ich das letzte Mal dort war, etwas verändert, aber nicht allzu sehr. Es bleibt eine ruhige Ecke mit wenigen Touristen in einer kleinen Bucht, wo das Meer manchmal wild toben kann, mit einem Fischerdorf.

Anschrift der Zugwagen

Schlechtes Wetter – schlechte Laune

Die nächsten Tage war das Wetter schlecht – genauso wie meine Laune. Schlechtes Wetter am Meer zieht mich immer herunter. Aber ja, das kann man sich nicht aussuchen. Auf der anderen Seite des Dorfes liegt der Fischerhafen. Ich lief dorthin und übersah dabei einen kleinen angebundenen Hund. Plötzlich griff er mich an, und ich sah nur noch Zähne. Sofort rannte ich davon und war mir vor lauter Adrenalin nicht einmal sicher, ob er mich gebissen hatte. Ich suchte alles ab – kein Biss. Ich neige zu Hypochondrie und malte mir bereits aus, wie ich in einem vietnamesischen Spital um eine Tollwutspritze bettle. Zum Glück war nichts passiert, aber meine ohnehin schon schlechte Laune verschlechterte sich noch weiter – für mindestens 24 Stunden stand ich unter Schock.

Wasserversorgung des Dorfes?

Am nächsten Tag war das Wetter immer noch nicht besser. Ich beschloss, nach Quy Nhơn zu fahren, und lief hoch zur Strasse. Dort stellte ich fest: keine Grabs und auch keine Bikes, aber eine Busstation. Ich wartete und es kamen immer mehr Kinder, die auf den Bus warteten. Nun wusste ich nicht, ob es sich um einen offiziellen Bus oder einen Schulbus handelte, und beschloss, noch etwas zuzuwarten. Ich hatte Glück: Ein Taxifahrer, der zwei Touristen ins Luxusresort nebenan brachte, nahm mich auf seiner Rückfahrt nach Quy Nhơn mit.

Mein Eindruck von 2016 über Quy Nhơn bestätigte sich: Es scheint eine ziemliche Geisterstadt zu sein. Die meisten Läden waren geschlossen, und das um 13.00, es gab nur wenige Cafés, die Strassen waren beinahe leer – und immer noch: Regen. Meine Gedanken schweiften ab zu einem Erlebnis aus dem Jahr 2016, als Andi und ich am Flughafen Quy Nhơn zwei amerikanische Veteranen getroffen hatten. Im hohen Alter hatten sie beschlossen, noch einmal an den Ort zurückzukehren, an dem sie einst Krieg geführt hatten, um Frieden zu schliessen. Wenn man weiss, dass viele dieser Veteranen nach dem Krieg Suizid begingen, bewunderte ich die beiden damals umso mehr.

Nicht viel los – Geisterstadt

Am letzten Tag gab es dann doch noch etwas Sonnenschein, und ich genoss das Meer und den Strand. Heute fliege ich zurück nach Sài Gòn. Eine Nacht im vertrauten Ananas-Hotel, und dann geht es wieder nach Hause.

Meine Gefühle? Neutral. Wie beim Abflug. Würde ich wieder alleine reisen? Auf jeden Fall. Auch wenn ich gegen die Mitte der Reise eine kleine Krise hatte – das gehört irgendwie dazu. Wirklich allein ist man mit den heutigen digitalen Mitteln sowieso nicht. Sogar mit Katerli Joshi konnte ich ein Video-Call führen. Zwei Grab-Bike-Fahrten zum Schluss müssen jetzt einfach noch sein.

Das nächste Mal? Vielleicht doch wieder zu zweit oder in einer Gruppe. Am liebsten nochmals mit meinen Töchtern die erst einmal in Vietnam waren. Am Liebsten noch im 2025.


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